Bibelstellen
Lukas 15,1-10
Alle Zöllner und Sünder kamen zu ihm, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen. Da erzählte er ihnen dieses Gleichnis und sagte: Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war! Ich sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben. Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann nicht eine Lampe an, fegt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie die Drachme findet? Und wenn sie diese gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte! Ebenso, sage ich euch, herrscht bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt.
Biblische Predigten
„Alle Zöllner und Sünder kamen zu ihm, um ihn zu hören.“ (vgl. Vers 1)
Die Forderungen, die Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem bisher an seine Nachfolgewilligen gestellt hatte (vgl. z.B. das Evangelium vom letzten Sonntag), schreckten viele wohl eher ab. In V. 1 heißt es jetzt aber, dass alle – im Griechischen „pantes“ (παντεσ) – Zöllner und Sünder zu Jesus kamen, um ihn zu hören. Ausgerechnet diese in der jüdischen Gesellschaft tief gesunkenen Menschen kommen zu ihm, weil sie bei ihm echte Liebe und echte Heiligkeit finden und nicht nur Scheinheiligkeit, wie bei den Pharisäern. Und diesen Gesetzlosen, wie ja die Pharisäer die Zöllner und Sünder nannten, öffnet Jesus nun die Tür zum Gottesreich, die sie durch ihre eigene Schuld selbst verschlossen hatten. Denn sie waren ja echte Sünder.
Diejenigen also, die der Gnade bedürfen und die sich dessen auch bewusst sind, werden von Jesus angerührt und von ihm angezogen. Diejenigen aber, die sich wie die Pharisäer gerecht fühlen, werden abgestoßen von all dem, was Jesus von ihnen in der Nachfolge des Jüngers fordert. Anders als die Zöllner und Sünder, wollen diese Mitläufer, auch die Pharisäer und Schriftgelehrten, immer wieder Zeichen sehen: „Sie fragten ihn: Meister, wann wird das geschehen, und an welchem Zeichen wird man erkennen, dass es beginnt?“ (Lk 21,7 u. Mk 13,4) Und das, obwohl Jesus schon so viele Zeichen getan hat, aber diese Zeichen führen eben nicht zum Glauben.
Die Zöllner und Sünder aber fragen nicht nach Zeichen, sondern sie sind gekommen um ihn zu hören. Das ist also endlich eine Zuhörerschaft, die Jesus schon lang sucht. Wir hören ja in den andern Evangeliumstexten immer wieder, wie die Leute kommen, um von Jesus geheilt oder befreit zu werden, dass sich aber nur wenige wirklich für seine Lehre interessieren. Jetzt kommen Menschen, die ihn hören wollen, die sich ihrer Sünden bewusst sind und Erlösung und Vergebung suchen. In Jesus begegnen sie jemandem, der genau davon spricht und ihnen einen Weg der Versöhnung anbietet. Dieses Hören-Wollen ist der Anfang des Glaubens. Glauben kommt vom Hören. Aber Voraussetzung dafür, dass ich auch wirklich hören will, ist die Selbsterkenntnis. Wir müssen uns fragen: Was will ich von Jesus hören? Ich will hören, dass meine eigenen Unzulänglichkeiten, meine Sünden vergeben sind. Und genau das ist ja die Hauptverkündigung Jesu: die Versöhnung mit dem Vater und die Vergebung der Sünden. Dafür ist er gestorben.
„Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.“ (vgl. Vers 2)
Die selbstgerechten Pharisäer und Schriftgelehrten murren, vor allem weil Jesus sogar mit den Sündern isst. Mit jemanden essen bedeutet, eine ganz besondere innige Gemeinschaft mit ihm haben. Hinter ihrem Unmut stehen bestimmte Grundirrtümer der Pharisäer: Erstens bilden sie sich ein, sie selbst hätten keine Sünde und seien deshalb natürlich auch keine Sünder; zweitens sind sie der Meinung, Sünder seien nur die Kapitalverbrecher; drittens verdammen sie pauschal ganze Menschenklassen wie Zöllner und ähnliche Menschen und schließen sie aus, ohne auf den Einzelnen zu schauen, wie er mit seinem Gewissen lebt; und viertens schließen sie daraus, dass auch Jesus ein Sünder sein müsse, wenn er mit diesen Sündern Gemeinschaft hat. Das ist die Auffassung der Pharisäer. Deshalb ärgern und empören sie sich. Und sie bringen das sehr verächtlich zum Ausdruck: Im Griechischen steht: ουτοσ: „Dieser da gibt sich mit Sündern ab“, das ist also wirklich sehr abfällig formuliert. Eigentlich hätten die Pharisäer schon vom Propheten Jesaja aus dem Alten Testament wissen müssen, dass Jesu wirklich „dieser da“ ist, nämlich Christus; dass dieser es ist, der die Sünder einlädt, wie es Jesaja schon längst vorausgesagt hat. Jesus zeigt: Gottes Gnade sucht den Sünder, nicht den Gerechten, der sich nur gerecht vorkommt.
„Da erzählte er ihnen dieses Gleichnis und sagte: Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war!“ (vgl. Vers 3-6)
Dann erzählt Jesus ihnen ein Gleichnis: das von den hundert Schafen, von denen eines verloren geht. Der Hirte lässt die 99 in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach. Die 99 stehen ja alle zusammen und haben so einen gewissen Schutz, aber das eine ist absolut verloren. Es liegt womöglich in den Dornen und kommt nicht mehr heraus.
Jesus sagt: Die Mühe, das verlorene Schaf zu suchen, lohnt sich. Jedem einzelnen verlorenen Sünder nachzugehen, lohnt sich. Für das eine verlorene Schaf lässt Jesus die 99 zurück. Es lohnt sich, diesem einen nachzugehen. Das müssen wir uns immer wieder vor Augen halten, damit auch wir bereit sind, jedem Einzelnen von denen nachzugehen, die sich verloren haben. Gleichzeitig drückt Jesus damit ganz deutlich eine Zurücksetzung aus gegenüber den Sicheren und Gerechten, die meinen, sie brauchen keine Bekehrung: Das eine Schaf, das verloren ist, weiß, dass es verloren ist, und es lässt sich finden. Die 99 aber haben es nicht nötig, umzukehren, oder bilden es sich wenigstens ein, dass sie es nicht nötig haben, so wie die Pharisäer und die Schriftgelehrten. Diejenigen, sich ihres Heiles sicher sind und sich so gerecht vorkommen und wirklich glauben, sie brauchen keine Bekehrung – genau für diese ist dieses Gleichnis gedacht.
Jesus freut sich über eine Bekehrung. Er murrt nicht über diejenigen, die zurückkehren. Da müssen auch wir uns fragen: Wie reagiere ich, wenn in meiner Umgebung einer zurückkehrt? Wie reagiere ich, wenn ich z.B. in den Gottesdienst komme, und neben mir oder in meiner Nähe sitzt vielleicht einer, von dem ich „weiß“, das er etwas seltsam ist und einen eigenartigen Weg geht. Vielleicht gibt es einen bestimmter Anlass: Weihnachten oder Ostern, vielleicht eine Hochzeit oder eine Beerdigung, für sein Kommen. Kann ich mich freuen, dass er überhaupt da ist? Kann ich Jesus in diesem Gottesdienst bitten: Berühre du sein Herz? Kann ich mich freuen oder murre ich: Was tut denn der da? Überprüfen wir einmal unsere eigene Gesinnung: Bin ich ein Pharisäer und Schriftgelehrter, der murrt und verurteilt und sich gerecht vorkommt gegenüber dem anderen? Wie schnell geraten wir in eine solche Haltung.
Jesus aber murrt nicht. Er spricht von der suchenden Liebe Gottes, die keine Nähe scheut. Das verlorene Schaf ist, wie gesagt, das hilfloseste. Vielleicht hängt es irgendwo in den Dornen und kommt selber nicht heraus. Allein findet es den Weg nicht zurück. Es kann sich auch nicht verteidigen, wenn ein Wolf kommt oder sonst ein wildes Tier. Es ist vollkommen ausgeliefert und total auf den Hirten angewiesen. Der Hirte aber weis um diese Not und trägt das wiedergefundene Schaft voll Freude nach Hause. Er ruft all seine Freunde zusammen, dass sie sich mit ihm freuen über das verlorene Schaf.
„Ich sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben. Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann nicht eine Lampe an, fegt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie die Drachme findet? Und wenn sie diese gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte! Ebenso, sage ich euch, herrscht bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt.“ (vgl. Vers 7-10)
Und so will Jesus das auch mit uns tun. Er fordert uns auf, uns mitzufreuen und nicht zu murren. Genauso die Frau, die die Drachme verloren hat und sie wiederfindet: Es ist ja nur ein kleines Geldstück, aber für die arme Frau ist es viel wert und sie ruft alle zusammen: „Freut euch mit mir.“ So ruft auch Jesus uns heute an: Freut euch mit mir, wenn sich einer aus eurer Gemeinde bekehrt, wenn einer, der einen ganz düsteren und üblen Weg gegangen ist, plötzlich zurückfindet, wenn ihr ihn plötzlich wieder im Gottesdienst seht und merkt: Ihm ist es ernst. Freut euch doch mit mir und murrt nicht: Was tut der denn da? Jetzt tut er so fromm. Früher hat er so viele Dinge angestellt. Den kennen wir doch. Nein – murrt nicht, sondern freut euch mit mir. Denn auch im Himmel wird größere Freude sein über einen Sünder, der umkehrt, als über 99 so genannte Gerechte, die sich doch nur einbilden, gerecht zu sein.
Beide Gleichnisse bringen das Gleiche zum Ausdruck. So sind auch wir von diesem Evangelium her eingeladen, uns mit Christus zu freuen über jeden, der umkehrt, vor allem über solche, die wir auf ihrem falschen Weg erlebt haben und wo wir jetzt erfahren und sehen dürfen, dass sie einen neuen Weg gehen oder es zumindest versuchen. Prüfen wir uns ernsthaft: Freuen wir uns mit oder murren wir? ∎