Gebet in der Bibel
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Gebet in der Bibel

Sie sind eine teilweise mehrere tausend Jahre alte Sammlung von Liedern und Gebeten, die heute noch in der Gemeinschaft der Kirche gebetet werden – im sogenannten Stundengebet.

min Lesezeit | Bernhard Meuser

Was ist das?

Die Heilige Schrift ist kein einzelnes Buch, sondern eine ganze Bibliothek. Sie enthält die unterschiedlichsten Texte, - mythische Erzählungen, Tatsachenberichte, Hymnen, Gesetzestexte, Liebeslieder; sogar kleine Romane finden sich in ihr. Ein Netzwerk von Texten spannt sich über die Geschichte Israels und die Anfänge der Kirche. Eingewoben in dieses Netz wie kostbar funkelnde Perlen sind Gebete. Immer wieder haben Menschen die Arme hochgerissen, um Himmel und Erde zu verbinden. Für Christen wie Juden steht und fällt alles mit dem Gebet: „Solange Mose seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker; sooft er aber die Hand sinken ließ, war Amalek stärker. Aaron und Hur stützten seine Arme, der eine rechts, der andere links, sodass seine Hände erhoben blieben, bis die Sonne unterging.“ (Ex 17,11) Jemand hat einmal nachgezählt und insgesamt 215 Gebete in der Heiligen Schrift entdeckt. Und nicht selten finden sich solche Gebete an den Wende- und Höhepunkten der Gottesbeziehung. „Betet ohne Unterlass“, empfiehlt Paulus in 1 Thess 5,17.

Was sagt die Heilige Schrift?

Die Geschichte Israels ist eine Entdeckungsgeschichte des einen wahren Gottes. Der erste Mensch in der Bibel, der in lebendigen Austausch mit diesem Gott trat, also betete, war Abraham (Gen 20,17). „Abraham“, heißt es in YOUCAT 471: „hörte auf Gott. Er war bereit, aufzubrechen, wohin Gott wollte, und zu tun, was Gott wollte ... Als Abraham sah, dass Gott die sündige Stadt Sodom vernichten wollte, trat er für sie ein. Er rang sogar hartnäckig mit Gott. Sein Eintreten für Sodom ist das erste große Bittgebet in der Geschichte des Volkes Gottes.“ Von Abraham an betet Israel. Zentrale Beter im Alten Testament sind Mose („Der Herr und Mose redeten miteinander Auge in Auge, wie Menschen miteinander reden.“ Ex 33,11) und David, den die Bibel als Urheber von 150 Psalmen benennt. „Die Psalmen“, heißt es in YOUCAT 473, „gehören neben dem Vaterunser zum größten Gebetsschatz der Kirche. In ihnen wird auf unvergängliche Weise das Lob Gottes gesungen. Sie sind eine teilweise mehrere tausend Jahre alte Sammlung von Liedern und Gebeten, die heute noch in der Gemeinschaft der Kirche gebetet werden – im sogenannten Stundengebet. Die Psalmen gehören zu den schönsten Texten der Weltliteratur und berühren auch moderne Menschen unmittelbar durch ihre spirituelle Kraft.“ Israel ruft zu Gott „am Abend, am Morgen und am Mittag“ (Ps 55,18) und aus dem Psalmvers „Siebenmal am Tag singe ich dein Lob“ (Ps 119,164) entwickelte sich das Stundengebet der Kirche und findet noch einen fernen Nachklang im fünfmaligen Gebet der Muslime, dem Salah, und dem Tawāf, dem siebenmaligen Umrunden der Kaaba. Im Neuen Testament hebt das Gebet mit dem Loblied der Maria an, dem Magnificat. „Jesus“ heißt es in YOUCAT 474, „lernte in seiner Familie und in der Synagoge zu beten. Doch Jesus sprengte die Grenzen des traditionellen Gebets. Sein Gebet weist eine solche Verbindung mit dem Vater im Himmel auf, wie sie nur der haben kann, der ‘Sohn Gottes’ ist.“ Eines der schönsten Christusgebete findet sich in Epheser 1,3-14. Maß allen Betens in der Schrift ist aber das Beten Jesu, das um das eine Wort „dein Wille geschehe“ (Lk 22,42) kreist.

Die kleine YOUCAT-Katechese

Gott zentriert

Die hl. Mutter Teresa (1910-1997) hat ebenso viele Verehrer wie Verächter. Die sie nicht mögen und Schlechtes über sie verbreiten, halten sie für eine etwas bornierte Katholikin, der es nur darum gegangen sei zu missionieren und Menschen in den Himmel zu bringen. Dabei stimmt das gar nicht. Sie hat gewiss mehr Hindus und Muslime in ihrer letzten Stunde begleitet als Christen, hat ihre religiösen Überzeugungen und Gewohnheiten respektiert, hat auch Beerdigungen nach ihrem Ritus finanziert. „Rasse und Religion“, meinte sie einmal, „spielen keine Rolle, wir sind alle Kinder Gottes, erschaffen um zu lieben und geliebt zu werden.“ Ja sie war sogar fasziniert von manchen religiösen Ausdrucksformen und versuchte, daraus zu lernen. Beispielsweise wie man betet. Einmal meinte sie zu ihren Schwestern: „Die Hindus geben diesen Tikka auf die Stirn (gemeint ist der rote Punkt) – sie verwenden es aus Schönheitsgründen, aber es hat eine gewaltige Bedeutung: Gott zentriert.“

Der Punkt auf der Stirn

Mir gefällt dieses Wort „Gott zentriert“. Es fasst Welten zusammen – die Welt der Heiligen Schrift nicht weniger als mein Leben. Wir alle fragen uns: Wo geht die Reise hin? Was wird mit mir, meinen Kindern? Was mit unserer Gesellschaft? Was mit diesem ächzenden, ausgeplünderten Planeten Erde? Was ist als nächstes dran? Worauf sollen wir uns konzentrieren? „Konzentriere dich auf deinen Traum“, sagt der Lifestyle-Coach. Buddha sagt: „Konzentriere dich auf den gegenwärtigen Moment.“ Der Unternehmensberater empfiehlt: „Konzentriere dich auf deine Kernkompetenz“. Der Dalai-Lama sagt: „Konzentrieren Sie sich auf die innere Schönheit.“ Nur die Heilige Schrift weist weg vom ewigen Kreisen um mich selbst; da vernehmen wir: „Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig. Darum sollst du den HERRN, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Und diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. ... Sie sollen zum Schmuck auf deiner Stirn werden.“ (Dtn 6, 4.8)

Da ist es wieder – das Tikka, der rote Punkt, das Zeichen auf der Stirn. Gott zentriert. Er ist es, der uns kon-zentriert – also gemeinsam auf das Gute ausrichtet. Er zeigt, wohin die Reise geht. Das ist die zentrale Botschaft. Und darum ist ein Christentum ohne Gebet – also ohne den lebendigen Kontakt mit Gott - einfach nicht denkbar, oder es ist so ungenießbar wie eine abgestandene Brühe.

Eine Ausrichtung auf Gott bekommen

Im Alten Testament schon sehen wir, wie Ordnung in eine Welt kommt, von der man den Eindruck haben kann, dass sie sich tagtäglich weiter von ihrem paradiesischen Ursprung entfernt. Immer neue Wellen von Gewalt und Zerstörung brechen über die Menschheit herein, obwohl es heroische Menschen gibt, die sich gegen das Böse stemmen. Die Geschichte wäre endloses Drama der Bosheit, eine Unheilsgeschichte in sich steigernden Fortsetzungen, würde uns Gott nicht unterbrechen. Heil und Ordnung kommt in die Welt, indem Gott sich einmischt in den normalen Lauf der Dinge.

Der Gott des Alten Testaments ist ein Gott, der sich meldet und ein Gespräch mit uns beginnt. Unverhofft. An der nächsten Straßenecke. Bei der Büroarbeit. Oder beim Schafe hüten. So war es bei Mose. Nicht Mose kam auf die Idee zu beten. Gott hat ihn im Nirgendwo der Steppe, an einem halbvertrockneten Dornbusch, auf eine feurige Weise zentriert. In YOUCAT 472 heißt es: „Von Mose können wir lernen, dass beten heißt ‘mit Gott sprechen’. Am brennenden Dornbusch trat Gott mit Mose in ein richtiges Gespräch ein und gab ihm einen Auftrag. Mose erhob Einwände und stellte Fragen. Schließlich offenbarte ihm Gott seinen heiligen Namen. Wie Mose damals Vertrauen zu Gott fasste und sich völlig in den Dienst nehmen ließ, so sollen auch wir beten und so in die Schule Gottes gehen.“

Das ist das Modell, an dem sich bis heute nichts geändert hat. Gott klopft an jeder Lebensgeschichte an. Oft überhören wir dieses Klopfen. Aber wenn wir die Tür aufmachen, ist ER da – und spricht mit uns. YOUCAT 470: „Man fühlt sich einsam, hat keinen mit dem man reden kann und spürt dann, dass Gott immer zu sprechen ist. Man ist in Gefahr und erfährt, dass der Ruf um Hilfe von Gott beantwortet wird. Beten ist so menschlich wie Atmen, Essen, Lieben. Beten reinigt. Beten ermöglicht den Widerstand gegen Versuchungen. Beten stärkt in der Schwachheit. Beten nimmt die Angst, verdoppelt die Kräfte, gibt den längeren Atem. Beten macht glücklich.“ Beten orientiert in einer orientierungslosen Welt. Christen tragen einen unsichtbaren Punkt auf ihrer Stirn. Man könnte auch sagen: Sie tragen einen Stern in ihrer Brust, ein Geheimnis, das sie unfehlbar führt, das sie ausrichtet auf Gott.

Mit Jesus beten

Wenn Beten heißt, in Verbindung sein mit dem letzten Urgrund von allem, dann war nur Einer Meister im Gebet: Jesus. Jesus ist der Punkt, auf den alle Linien in der Heiligen Schrift zulaufen. Alle Gebete, alles Loben, Bitten, Danken, Klagen – es läuft auf Jesus zu. Dieses seit Jahrtausenden währende Rezitieren der Psalmen, dieses endlose Rufen in Millionen von Klöstern, Kirchen und Kathedralen – es ist ein Sprechen, Schreien, Jubeln in und mit, und durch und auf Jesus hin, als müssten alle Wasser, die auf Gott hin fließen durch diesen einen Kanal. Es gibt kein christliches Beten an Jesus vorbei.

Das große Bild des betenden Jesus ist das Bild vom Ölberg. Jesus ist ganz Mensch und vereinigt alle Menschenangst in sich. Die Hände zum Himmel gerichtet, schwitzt er Blut (Lk 22,44). Jesus überführt das Drama allen Scheiterns auf der Erde in das Vertrauen, dass bei Gott letzten Endes alles gut wird, darum sagt er gerade da, wo nichts mehr geht: „... nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“ (Lk 22,42) Das ganze Johannesevangelium kreist um diese einzige, entscheidende Beziehung, die immer wieder an- und ausgesprochen wird: die Beziehung des Sohnes zum Vater. Diese Beziehung führt in die grundlose Tiefe Gottes, in die Liebe selbst – und sie ist mächtig, mächtig, die Welt zu verändern: „Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben.“ (Joh 3,35)

Christen glauben tatsächlich daran, dass „alles“ – und das meint wirklich: alles - in die Hand Jesu gegeben wurde, bis in die kleinsten Sorgen unseres Alltags, unserer Familie. Wenn wir uns also auf Jesus konzentrieren, wenn wir in betender Beziehung mit ihm sind, dann sind wir tatsächlich im Herzen der Dinge: bei unserem lieben Vater. In YOUCAT 477 heißt es: „Von Jesus beten lernen heißt in sein grenzenloses Vertrauen einsteigen, in sein Beten einstimmen und von ihm Schritt für Schritt zum Vater geführt werden.“ Der Vater ist gewissermaßen das Tikka auf der Stirn Jesu. Und das kürzeste und machtvollste Gebet der Welt – das Kreuzzeichen - ist das Tikka der Christen: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Bring dein Herz da hin!

Einer der großen Lehrer des Glaubens, Franz von Sales, hat einmal gesagt: „Wenn dein Herz wandert oder leidet, bring es behutsam an seinen Platz zurück und versetze es sanft in die Gegenwart deines Herrn. Und selbst, wenn du nichts getan hast in deinem ganzen Leben, außer, dein Herz zurückzubringen und wieder in die Gegenwart unseres Gottes zu versetzen, obwohl es jedes Mal wieder fortlief, dann hast du dein Leben erfüllt.“