Wozu brauchen wir eigentlich den Heiligen Geist?
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Wozu brauchen wir eigentlich den Heiligen Geist?

Für viele Christen ist der Heilige Geist ein Unbekannter. Er spielt dabei eine zentrale Rolle. Ein Überblick über wichtige Passagen aus der Bibel und dem YOUCAT.

min Lesezeit | Bernhard Meuser

Was ist das?

Pfingsten / Heiliger Geist

Pfingsten ist das dritthöchste Fest der Christenheit. Gefeiert wird die Herabkunft des Heiligen Geistes auf einen Kreis von etwa 120 Personen: die Apostel, Maria, einige Frauen und andere Jünger aus dem Freundeskreis Jesu. Diese Gruppe hatte sich ursprünglich „aus Furcht vor den Juden“ (Joh 20,19), dann aber, um betend auf eine Initiative von oben zu warten, im Abendmahlssaal versammelt. Pfingsten wird am 50. Tag nach Ostern gefeiert – daher auch das Wort „Pfingsten“, das sich herleitet aus dem griech. pentekostē (= ´fünfzigster´). Pfingsten gilt als das eigentliche Geburtsfest der Kirche, wobei ein tiefer Sinn darin liegt, dass der Geburtsort identisch ist mit dem Raum, in dem Christus die Eucharistie einsetzte. Der Heilige Geist „ist die dritte Person der Heiligen Dreifaltigkeit (Trinität) und von gleicher göttlicher Größe wie der Vater und der Sohn.“ (YC 38) Vor seinem Tod hatte Jesus den Jüngern versprochen, „ihnen einen ´anderen Beistand´ (Joh 14,16) schicken, wenn er nicht mehr bei ihnen sein würde. Als dann über die Jünger der Urkirche der Heilige Geist ausgegossen wurde, erfuhren sie, was Jesus gemeint hatte. Sie erlebten eine tiefe Sicherheit und Freude im Glauben und erhielten bestimmte Charismen (= Gnadengaben) d. h. sie konnten prophezeien, heilen und Wunder wirken.“ Der Heilige Geist ist es, „der lebendig macht“ (Joh 6,63) – den einzelnen Christen und die ganze Kirche, die ohne den Heiligen Geist gewissermaßen von Gott verlassen wäre. Ohne die „Gaben des Heiligen Geistes“ (1 Kor 12) ist die Kirche ein totes, geistloses Gebilde.

Was sagt die Heilige Schrift?

Die von Jesus prophetisch angekündigte Herabkunft des Heiligen Geistes ereignete sich am Tag des jüdischen Erntedankfestes - ein dramatisches Ereignis: „...vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, ... Zungen wie von Feuer.“ (Apg 2,3) Die Jünger, die nicht wussten, wie ihnen geschah, „begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ (Apg 2,4). In ihrer Geburtsstunde entfaltet die junge, vom Geist erfüllte Kirche sofort eine missionarische Dynamik. So hatte es Jesus auch vor seinem Weggang gefordert: „Geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ (Mt 28,19) Die Umstehenden fragen. „Was sollen wir tun, Brüder?“ (Apg 2,37) Die Antwort gibt Petrus: „Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung eurer Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. Denn euch und euren Kindern gilt die Verheißung und all denen in der Ferne, die der Herr, unser Gott, herbeirufen wird.“ (Apg 2,38) Die Kraft des Heiligen Geistes ist mit Händen zu greifen: „An diesem Tag wurden ihrer Gemeinschaft etwa dreitausend Menschen hinzugefügt.“ (Apg 2,41) Im Heiligen Geist hielten sie „an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten.“ (Apg 2,42) Schon vor Pfingsten ist der Heilige Geist eine göttliche Wirklichkeit im Neuen Testament: Maria empfängt Jesus, indem sie vom Heiligen Geist „überschattet“ (Lk 1,35) wird. Bei der Taufe im Jordan kommt der Heilige Geist auf Jesus (Mt 3,16). Im Johannesevangelium spricht Jesus vom „Geist der Wahrheit“ (joh 14,17). Im Alten Testament entwickelt sich das Verständnis für den Heiligen Geist erst nach und nach. „Der Geist Gottes“, heißt es im Schöpfungsbericht, „schwebte über dem Wasser“ (Gen 1,2) Der Mensch wird lebendig indem Gott ihm den „Atem“ einbläst (Gen 2,7). Hiob bekennt: „Gottes Geist hat mich erschaffen, der Atem des Allmächtigen mir das Leben gegeben.“ (Hi 33,4) Das hebräische Wort dafür ist ruach – und es ist weiblich, ein Zeichen dafür, dass in Gott auch das mütterliche Lebensschaffende seinen letzten Ort hat.

Die kleine YOUCAT-Katechese

Wozu brauchen wir eigentlich den Heiligen Geist?

Als die Menschen noch nicht sexuell aufgeklärt waren - so um 1968 - landete ein gewisser Oswalt Kolle einen internationalen Blockbuster mit dem Film „Deine Frau, das unbekannte Wesen“. Heute müsste man einen Film drehen „Der Heilige Geist – das unbekannte Wesen“. Nichts ist in der Kirche unbekannter und kaum etwas wichtiger als der Heilige Geist, gerade in Zeiten, in denen viele nicht mehr wissen wo hinten und vorne ist.

Manche bringen den Heiligen Geist auf die etwas dürftige Formel „Was wir brauchen, ist mehr Begeisterung!“ Mit dem Heiligen Geist ist aber nicht die Erhöhung der emotionalen Betriebstemperatur beim Lobpreis gemeint. In YC 38 heißt es: „Der Heilige Geist ist die dritte Person der Heiligen Dreifaltigkeit und von gleicher göttlicher Größe wie der Vater und der Sohn“ – und YOUCAT 113 verstärkt das noch einmal: „An den Heiligen Geist glauben heißt, ihn ebenso als Gott anzubeten wie den Vater und den Sohn.“

Ohne den Heiligen Geist ist Gott sozusagen nicht komplett. Und vor allem: Ohne den Heiligen Geist ist Gott – noch einmal sehr menschlich gesprochen – irgendwie nicht „da“.

Ein Gespenst – oder was?

Unter Gott, dem Vater, können wir uns etwas vorstellen – und sei es das naive Bild von einem alten Mann mit einem langen Bart. Beim Sohn wird das Neue Testament fast handgreiflich: „Was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben, das verkünden wir.“ (1 Joh 1,1) Wenn aber vom „Geist“ die Rede ist, denken manche nur an Schlossgespenster und andere luftige Phänomene von zweifelhafter Realität.

Nun gibt es unsichtbare Dinge, die so real sind wie Stein und Eisen - „Liebe“ zum Beispiel. Liebe hat noch niemand gesehen – aber es gibt sie ohne jeden Zweifel. Bei Menschen ist Liebe eine Art Zwischending – die lateinische Sprache hat dafür das Wort Interesse (= Zwischen-Sein). Weil wir durch Jesus genialer Weise in der Lage sind, in das Innere Gottes zu schauen, entdecken wir auch dort ein Inter-Esse. Gott ist kein monolithischer Block. In ihm ist Leben, Gemeinschaft, ein unaufhörlicher Dialog der Liebe. Das Interesse vom Vater am Sohn (und umgekehrt) ist von so gewaltiger Intensität, dass das „Zwischen“ der göttlichen Liebe eben kein vages Gefühl oder ein Beziehungsqualität, sondern eine Person ist: der Heilige Geist.

Eine Beziehung, die ein „Jemand“ ist – das geht über jede menschliche Vorstellung hinaus. Und es kommt noch verrückter! Jesus möchte uns in die Beziehung aller Beziehungen, das Inter-Esse Gottes, hineinnehmen. Wir sind total interessant für ihn. Dazu drückt er uns keine Vereinssatzung in die Hand; wir müssen uns auch nicht künstlich einen bestimmten „spirit“ aufsetzen.

Er schenkt uns sozusagen einen Gott

Wie bitte? Was mögen sich die armen Korinther gedacht haben, als Paulus sie fragt: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt?“ „Unser Leib“, schließt YC 120 folgerichtig, „ist also gewissermaßen das Wohnzimmer Gottes.“ Der unendliche Gott – im Kleinformat? In einer Unterkunft aus Fleisch, Blut und zweifelhaften Gedanken?

Schauen wir uns einfach an, wie Jesus dazu kommt. Das Johannesevangelium überliefert die Abschiedsreden Jesu. Man kann sich gut vorstellen, was in den Freunden Jesu vorging, als er das Scheitern seines Projektes ankündigte. Diese Fischer, Bauern und Zöllner, die ihre bürgerlichen Berufe an den Nagel hängten, hatten alles auf eine Karte gesetzt. Nun würde sich ihr Heroe aus dem Staub machen? Eine Erklärung ist das Mindeste, was sie verlangen durften.

Und Jesus gibt sie. Botschaft 1: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen!“ (Joh 14,18). Botschaft 2: „Ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird.“ (Joh 14,16-17)

Ob die Apostel da schon etwas verstanden? Ich bezweifle es.

Offenbarung in der Beziehungskiste

Man weiß heute noch, wo die „Beziehungskiste“ liegt. Ich meine den Ort, wo die Jünger in die Beziehung aller Beziehungen einstiegen. Er liegt in Jerusalem, auf dem Zionsberg (für Smartphone-Besitzer: GPS 31.772167, 35.229281). Von der Ma´ale Shazkh Straße steigt man etwa 40 m hinauf zum „Abendmahlssaal“, von dem der berühmte Archäologe Bargil Pixner Stein und Bein schwört, dass hier – genau unter der Kreuzfahrerkirche aus dem 14. Jahrhundert – der Saal war, in dem zwei entscheidende Momente der Beziehungsgeschichte Gottes mit der Welt stattfanden: das Abendmahl und Pfingsten.

Es war der Raum, in dem Jesus in eine unerhörte neue Beziehung mit seinen Jüngern trat, die ihn sozusagen abwesend anwesend machte. Hier bot sich Jesus eucharistisch zum Essen und Trinken dar - für immer und überall. Und es war dieser Saal in Jerusalem, der in der Apostelgeschichte „Obergemach“ genannt wird; dorthin kehrten die engsten Vertrauten Jesu zurück, nachdem der Herr sich ihnen als der Auferstandene gezeigt hatte: „Petrus und Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon, der Zelot, sowie Judas, der Sohn des Jakobus ...“ (Apg 1,13) Sie hatten eine rätselhafte Weisung bekommen: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8) Was sollte das bedeuten?

Closed Shop. Spannung bis zum geht nicht mehr.

Was tut man in so einem Moment? Warten.

„Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern.“ In der Mitte: Maria, die Beziehungsspezialistin von Anfang an („Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten“, Lk 1,35). Durch ihr „Ja“ öffnete sich der Raum für die Menschwerdung Gottes.

Und dann werden sie - die Mutter, die Frauen, die Freunde - überfallen von Pfingsten. Eine neue Realität beginnt. „Fünfzig Tage nach seiner Auferstehung“, heißt es in YC 118, „schickte der Herr vom Himmel her den Heiligen Geist auf seine Jünger herab. Die Zeit der Kirche begann. Am Pfingsttag machte der Heilige Geist aus angstbesetzten Aposteln mutige Zeugen Christi. In kürzester Zeit ließen sich Tausende taufen: Es war die Geburtsstunde der Kirche. Das Sprachenwunder von Pfingsten zeigt, dass die Kirche von Anfang an für alle da ist; sie ist universal (lat. für das griech. katholisch) und missionarisch. Sie spricht zu allen Menschen, überwindet ethnische und sprachliche Grenzen und kann von allen verstanden werden. Bis heute ist der Heilige Geist das Lebenselixier der Kirche.“

Geistlos Christ sein? Ein Unding!

Seit Pfingsten ist Gott im Stand-by-Modus. Er wohnt im Herzen der Kirche und im Herzen jedes einzelnen Gläubigen. Jeder Kontakt mit Gott, jede Berufung auf ihn, jedes Sprechen über ihn ist „geistlich“ – oder er ist Etikettenschwindel. Wenn wir beten, ruft Gott in uns nach Gott außer uns, und wenn wir Gott erkennen, erkennt Gott in uns den Gott über uns. „Ohne den Heiligen Geist kann man Jesus nicht verstehen“, heißt es in YC 114. Wenn in der Kirche Heilung geschieht, ist es Heilung im Heiligen Geist. Ohne ihn wird niemand getröstet, bestärkt, bekehrt, geführt und versöhnt. Ohne das Veni Sancte Spiritus kann niemand in der Kirche lehren, segnen, leiten. Ohne „Salbung von oben“ kann man keine Theologie betreiben. „Ohne“ kann man auch keine Sakramente spenden; die Gaben der Erde bleiben ungewandelt. Ohne den Heiligen Geist sind Seelsorger nur blinde Blindenführer. Ohne den Heiligen Geist ist der ganze hochdifferenzierte Komplex Kirche nichts als ein ärmliches Stück Soziologie. Und „Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht“ (YC 310) sind normale skills, jedenfalls nicht Die Sieben Gaben des Heiligen Geistes. Die Welt bleibt die Welt. Von oben kommt nichts.

Metropolit Ignatius Hazim, der ehemalige griechisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien (1920-2012), hat es auf unnachahmliche Weise ausgedrückt: „Ohne den Heiligen Geist ist Gott fern, bleibt Christus in der Vergangenheit, ist das Evangelium ein totes Buch, die Kirche eine Organisation, die Autorität nur Herrschaft, die Mission eine Propaganda, der Kult eine Beschwörung und christliches Handeln eine Sklavenmoral. Aber mit dem Heiligen Geist erhebt sich der Kosmos und stöhnt in den Geburtswehen des Königreiches, ist der auferstandene Christus da, ist das Evangelium die Kraft des Lebens, bedeutet die Kirche die dreieinige Gemeinschaft, ist Autorität ein befreiender Dienst, ist die Mission ein neues Pfingsten, ist die Liturgie Gedenken und Vorwegnahme, ist das menschliche Handeln verherrlicht.“ ∎